POST 41 – Berichte aus dem Getto Litzmannstadt
Projektbeschreibung
Im Jänner 2014 begann die Arbeit am Projekt „POST41 – Wiener Jüdinnen und Juden im Getto Litzmannstadt“ (Arbeitstitel). Ein österreichisch-polnisches Projektteam widmet jenen 5000 Jüdinnen und Juden, die im Oktober und November 1941 im Rahmen der sogenannten „Westjudentransporte“ vom Wiener Aspangbahnhof nach Radegast, dem Bahnhof von Łódź, und von dort ins Getto Litzmannstadt deportiert wurden, eine Ausstellung in Wien und Łódź sowie ein Gedenkbuch.
Viele jener 1941 deportierten Wienerinnen und Wiener starben in den ersten Monaten an Hunger und Krankheit, mehr als 3000 wurden im Mai 1942 im nahe gelegenen Vernichtungslager Kulmhof/Chełmno ermordet. Unter dem Druck der anrückenden Roten Armee wurde das Getto im August 1944 geräumt. Wer bis dahin überlebt hatte, wurde ins Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz gebracht. Nur 34 der aus Wien nach Litzmannstadt verschleppten Menschen erlebten die Befreiung.
Insgesamt wurden im Herbst 1941 rund 20000 Menschen aus dem Westen des Deutschen Reiches ins Getto Litzmannstadt deportiert. Ähnliche Projekte wie das vorliegende wurden von deutschen WissenschafterInnen zu den Transporten aus Berlin, Düsseldorf, Trier und Köln bereits durchgeführt.
Postkarte aus dem Getto Litzmannstadt
Deportationen 1941
Aspangbahnhof Wien
Deportationen vom Wiener Aspangbahnhof 1941. In der Kleinen Sperlagasse wurde das Gepäck der Deportierten verladen.
Foto: DÖW
Ankunft eines Transportes aus Wien im Getto Litzmannstadt.
Foto: Staatliches Archiv Łódź
Deportation nach Kulmhof – am Weg nach Radegast, Bahnhofsstation, 1942
Wissenschaftliche Aufarbeitung
Eine der 3.400 Postkarten von Deportierten aus Wien, die auf Befehl der Gettoverwaltung im Winter 1941/42 zurückgehalten wurden.
Foto: Staatliches Archiv Łódź
Das Projekt POST41 ist dreiteilig angelegt. Im ersten, wissenschaftlichen Teil wurden 3.400 Postkarten aus dem Staatlichen Archiv in Łódź systematisch erfasst. Die AbsenderInnen konnten anhand der am Österreichischen Dokumentationsarchiv vorliegenden Wiener „Transportlisten“ identifiziert werden, die Namensschreibweisen abgeglichen und korrigiert. Listen der AdressatInnen jener 3.400 Karten, die von MitarbeiterInnen des Staatlichen Archivs von Łódź teilweise erstellt worden waren, wurden richtiggestellt und um die Anschriften in Wien ergänzt. Die handschriftlichen, teilweise in Kurrentschrift verfassten Texte der Postkarten wurden – soweit bisher lesbar – transliteriert. Dieses Textkorpus legt ein erschütterndes Zeugnis über die Lebensumstände der Deportierten im Getto Litzmannstadt. Gleichzeitig gibt es Aufschluss über soziale Kontakte, innerhalb der Gruppe aus Wien aber auch mit polnischen Jüdinnen und Juden. Angesprochen wird die dringende, oft erfolglose Suche nach Arbeit im Getto, gegenseitige Hilfestellungen, vor allem aber die große Sorge, um in Wien zurückgelassene Angehörige. Dringende Ersuchen um finanzielle Unterstützung von außen sind ein weiteres Thema der Postkarten, die ihre Adressaten nie erreicht haben. Die Texte bilden neben anderen Dokumenten aus Archiven in Österreich, Polen, Israel, den USA und Kanada sowie außergewöhnlich umfangreichem Fotomaterial aus dem Getto die Basis für den zweiten und dritten Teil des Projektes, eine Wanderausstellung und ein Gedenkbuch.
Aloisia Schimmel an ihre Cousine Helena Geiger, 5. Dezember 1941
Foto: Staatliches Archiv Łódź
Ausstellung
Die Ausstellung „POST41. Berichte aus dem Getto Litzmannstadt“ wurde am 30. September 2015 im Jüdischen Museum Wien eröffnet und ist bis 6. März 2016 zu besichtigen. Danach wandert sie an die Gedenkstätte Radegast nach Łódź. Weitere Veranstaltungsorte in Polen und Österreich sind in Planung.
Der Titel der Ausstellung „POST41. Berichte aus dem Getto Litzmannstadt“ nimmt Bezug auf die ungewöhnliche Vielzahl von Fremd- und Selbstzeugnissen, die aus unterschiedlichen Perspektiven über das Leben und Sterben im Getto Litzmannstadt berichten. Den verschleiernden Blick von außen geben u.a. ästhetische Farbfotos von Walter Genewein wider. Dokumentationen im Auftrag der jüdischen Gettoverwaltung sollten das „Funktionieren“ des Gettos für die Nachwelt festhalten, darunter etwa Fotos von Henryk Ross, Mendel Grossman sowie die Getto-Chronik aus dem Archiv des Judenältesten, zu deren RedakteurInnen auch zwei Intellektuelle aus Wien, Alice Chana de Buton und Dr. Oskar Rosenfeld zählten. Die erwähnten Postkarten lassen, trotz Auslassung von durch die Gettoverwaltung verbotenen Inhalten, Trauer und Elend der AbsenderInnen aus dem Getto erkennen. Tagebücher, die erhalten sind, geben schließlich unmittelbar persönliche, unzensurierte, Eindrücke wider. Als Zeitzeuginnenbericht zweier Wienerinnen, die unter den wenigen Überlebenden waren, ist auch die Videodokumentation „Aspangbahnhof 1941. Geschichte einer Frauenfreundschaft“ von Angelika Brechelmacher und Martina Aichhorn in die Ausstellung eingebettet.
Foto: Walter Genewein, © Jüdisches Museum Frankfurt am Main
Frauen bei der Arbeit in der Schäfte-Abteilung
Foto: Staatliches Archiv Łódź
Alice de Buton an Dr. Rudolf Schalek, 15. Dezember 1941
Gedenkbuch
Unter demselben Titel wurde als dritter Teil des Projektes das Gedenkbuch „POST41. Berichte aus dem Getto Litzmannstadt“ publiziert. Das Gedenkbuch wurde in zweifacher Version herausgegeben, einer deutsch-englischen und einer polnisch-englischen Fassung. Das Buch errschien zeitgleich mit der Ausstellungseröffnung am 30. September 2015 im Mandelbaum Verlag. Buchbeiträge gestalteten der Historiker Bertrand Perz (Geschichte des Gettos), Florian Freund (Das „Zigeunerlager“), Piotr Zawilski, Direktor des Staatlichen Archivs in Łódź (Bestand des Archivs), Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems (Gettochronik und Tagebücher), Regina Wonisch (Fotodokumentation des Gettos), Hannelore Steinert (Postwesen im Getto) Angelika Brechelmacher („Wiener Postkarten“). Im zweiten Teil des Buches wurden exemplarisch Ausschnitte aus dem Leben einzelner aus Wien deportierter Menschen aus dem vorliegenden Material, vor allem den Postkarten rekonstruiert. Das Buch enthält 180 Farbfotos.
GEDENKBUCH: POST 41
Berichte aus dem Getto Litzmannstadt
AutorInnen: Bertrand Perz, Florian Freund, Piotr Zawilski, Hanno Loewy, Regina Wonisch, Hannelore Steinert, Angelika Brechelmacher, Gerhard Baumgartner, Margit Craß
Kurzeindrücke zum Projekt„Post41“ dokumentiert Zeugnisse aus dem Getto Litzmannstadt. Erstmals werden in der Ausstellung und dem Gedenkbuch auch Postkarten von Deportierten aus Wien, die 1941 von der Gettoverwaltung zurückgehalten wurden, veröffentlicht. Rund 3.400 Nachrichten vom Winter 1941/42 an Verwandte, Freunde, Nachbarn in Wien und anderen Städten Europas liegen im Staatsarchiv von Łódź. Sie geben Hinweis auf die verzweifelte Situation der Deportierten im Getto, ihre Sorge um Verwandte und Freunde in Wien und Wiener Netzwerke im Getto. Postkarten und Tagebücher, Auszüge aus der Getto-Chronik sowie Foto- und Filmbeiträge bilden in der Ausstellung und im Gedenkbuch Versatzstücke einer Rekonstruktion, einer Erzählung, die sich im Grunde nicht erzählen lässt. „Es war eine Atmosphäre, die man nicht schildern kann. Man kann sie nicht filmen und man kann sie nicht erzählen.“ (Grete Stern, Jg. 1920, Interview im Jänner 2013)Deportationen vom Wiener Aspangbahnhof. Gepäcksverladung von Deportierten in der Kleinen Sperlgasse in Wien, 1941. Foto: DÖWIm Oktober 1941 werden tausende Jüdinnen und Juden in Wien aufgefordert, sich mit 50 Kilogramm Gepäck pro Person in Wiener Schulen zur Deportation „einzufinden“.Fünf Transporte mit jeweils 1000 Menschen führen zwischen 15. Oktober und 2. November 1941 vom Wiener Aspangbahnhof nach Łódź, ins Getto Litzmannstadt.
Ankunft eines Wiener Transports im Getto Litzmannstadt.
Foto: Staatliches Archiv Łódź
Eine der rund 3.400 Postkarten von Wiener Deportierten, die im Winter 1941/42 auf Befehl der Gettoverwaltung nicht verschickt wurden und im Staatsarchiv von Łódź archiviert sind.
Foto: Staatsarchiv Łódź
Auszüge aus biographischen Interviews mit Hella Fixel und Grete Stern, zweier damals etwa zwanzigjähriger Frauen aus Wien, die das Getto, Auschwitz und Zwangsarbeit überlebt haben, bilden als Filmdokumentation einen weiteren Erzählstrang. Die beiden Frauen erzählen vom Gettoalltag, Überlebensstrategien, lebensrettenden Zufällen und Unterstützung durch polnische jüdische Gefangene.
Grete Stern, geb. Feldsberg, und Hella Fixel wurden im Oktober 1941 mit ihren Familien ins Getto Litzmannstadt verschleppt. Fotos: privat
Im Sinne von „Niemals vergessen“ werden auch junge Menschen und Schulklassen mit der Ausstellung angesprochen, ein speziell auf diese Zielgruppe ausgerichtetes Vermittlungsprogramm begleitet sie.
Projektträger: ARGE grenzen erzaehlen, Wien, Austria
Projektleitung: Dr. in Angelika Brechelmacher
AUSSTELLUNG
Kuratorinnen: Mag.a Regina Wonisch, Angelika Brechelmacher
Kurator am JMW: Dan Fischmann
Architektur: Mag. arch. Bernhard Denkinger
Ausstellungsorte: Jüdisches Museum Wien, Gedenkstätte Radegast, Instytut Tolerancji w Łodzi
Dauer in Wien: 30. September 2015 – 6. März 2016, Jüdisches Museum Wien
Dauer in Łódź: 15. März 2016 – 3. September 2016, Gedenkstätte Radegast, Łódź
ProjektpartnerInnen:
- https://grenzenerzaehlen.at – ARGE grenzen erzaehlen, Wien
- Universität Klagenfurt, Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung, Austria
zur Projektseite - Forschungszentrum für historische Minderheiten, Wien, Austria
- Archiwum Państwowe w Łodzi – Staatliches Archiv Łódź, Polen
- Instytut Tolerancji w Łodzi – Institut für Toleranz, Łódź, Polen
zur Projektseite - Jüdisches Museum Wien, Austria
zur Projektseite - DÖW Dokumentationsarchiv für den österreichischen Widerstand, Wien, Austria
zur Projektseite - Institut für Konfliktforschung, Wien, Austria
- Hannelore Steinert M.A., Düsseldorf, Deutschland
- Kanzlei – Internationaler Verein für Wissenschaft und Kultur, Wien, Austria
Gefördert durch:
This project has been funded with support from the European Commission.
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- Stadt Wien – Europa und Internationales
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- Österreichisches Kulturforum in Warschau